[autom.vertaling] Franz Fischler: "Als Menschlichkeit het Fundament des neuen der de EU Europas aus der Sicht" (en)
Pro Oriente Symposium, Linz, 24. Oktober 2003
Sehr geehrte Damen und Herren!
,Nicht Staaten vereinigen wir, sondern Menschen!", hat Jean Monnet, einer der Gründerväter der europäischen Einigung, allen Politikern ins Stammbuch geschrieben. Für ihn war ganz klar, dass ein gemeinsamer Markt und der Euro alleine für eine dauerhafte europäische Verbindung zu wenig sind.
Genauso klar machte das der frühere Kommissionspräsident Delors mit seinem berühmt gewordenen Statement: ,Wir müssen Europa eine Seele einhauchen!"
Es ließe sich leicht eine Gedanken- und Argumentationskette entwickeln, dass von den Gründervätern bis heute in erster Linie humanistische Ziele der Idee der Europäischen Union Pate gestanden sind. Und, keine Frage: die europäische Union ist von Anfang an bis heute von christlichem Gedankengut beeinflußt, aber nicht ausschließlich von diesem.
Ich danke Pro Oriente ganz besonders für die Einladung zur Diskussion über die menschliche Seite Europas, die manchmal zu Unrecht hinter Wirtschafts- oder Verwaltungsfragen zu verschwinden scheint.
Wo ist nun der Mensch in dieser Europäischen Einigung, wo die Menschlichkeit zu finden?
Ich werde versuchen, diese an Hand von vier Bereichen auszumachen, die in diesem Zusammenhang zweifellos bedeutsam sind:
Friede
Demokratie
Grundrechte
und Solidarität
Meine Damen und Herren,
Die europäische Einigung war von Anfang an ein Friedensprojekt.
Bereits 1942 hat Robert Schuman, der spätere französische Außenminister, erklärt: ,Nach dem Schweigen der Waffen werden wir unseren Feinden von gestern die Hand zur Versöhnung reichen und mit ihnen gemeinsam das neue Europa aufbauen." Dieses Zitat - mitten im Krieg ausgesprochen - war eine großartige Vision und zeugt vom großen politischen Mut und von der großen Menschlichkeit der europäischen Einigungsidee.
Tatsächlich war ein neuer, kreativer Ansatz notwendig, um den Frieden in Europa dauerhaft zu sichern. Dieser Ansatz war mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften gefunden. Eine Gemeinschaft, die sich die ,Sicherung des Weltfriedens" zur Aufgabe gemacht hat, wie es in der Präambel des EG-Vertrages heißt.
Heute ist Robert Schumans Vision Wirklichkeit geworden, und schon über 50 Jahre lang hat es keinen bewaffneten Konflikt mehr zwischen unseren Mitgliedstaaten gegeben! Wer denkt heute noch daran, dass das nicht selbstverständlich ist, sondern ein Erfolg Europas?
Demokratie
Auch wenn die Demokratie in der EU mit der Demokratie in unseren Mitgliedstaaten nicht so ohne weiteres eins zu eins vergleichbar ist, so heißt das deswegen beileibe nicht, dass die EU nicht demokratisch wäre!
Vielmehr sind durch ein sehr raffiniertes System von ,Checks und Balances" von Kontrollen und Gleichgewichten demokratische Prozesse sichergestellt. Es würde jetzt aber zu weit führen, hier diese demokratischen Prozesse genauer zu erläutern.
,Man lernt nie aus" das gilt sicherlich auch für die Demokratie in der EU. Aber meiner Ansicht nach krankt das System an ganz etwas anderem: Die EU mag noch so demokratisch sein solange unsere Bürger das Gefühl haben, dass die EU ,die da oben in Brüssel" sind, und unendlich weit weg, solange die Menschen sich nicht mit Europa identifizieren können und es nicht in den Köpfen und in den Herzen der Menschen ist, dass sie selber Europa sind, solange wird es auch die zum geflügelten Wort gewordene ,Eurosklerose" geben.
Meine Damen und Herren,
Es ist einfach ein Faktum, dass es kein einfaches Unterfangen ist, 15 Staaten und es werden in 6 Monaten 25 sein - mit unterschiedlichen historisch gewachsenen Rechtskulturen, mit unterschiedlichen demokratischen Entwicklungen und nicht zuletzt mit bald über 20 Sprachen, insbesondere auf Basis einer freien Entscheidung, unter einen Hut zu bekommen! Wir haben uns daher gefragt:
Wie kann eine Union mit 25 und mehr Staaten überhaupt funktionieren?
Und wie kann Europa effizienter, transparenter und demokratischer werden?
Dazu brauchen wir neue Spielregeln im Haus Europa. Die Staats- und Regierungschefs haben daher vor 2 Jahren einen Konvent eingerichtet und ihm den Auftrag gegeben, einen Verfassungstext für Europa auszuarbeiten, der auf diese Fragen bessere Antworten gibt. Der Konvent hat diese Arbeit vor wenigen Monaten erfolgreich abgeschlossen, und zur Zeit tagt gerade die Regierungskonferenz, um über den endgültigen Entwurf zu entscheiden.
Im großen und ganzen ist dieser Verfassungsentwurf sehr gut gelungen, aber bei einigen Punkte habe ich doch Bedenken. Ich will an dieser Stelle nur einen einzigen dieser Punkte anführen, und das ist der Vorschlag, wonach es nur mehr 15 stimmberechtigte Kommissare geben soll. Meiner Meinung nach haben hier Leute entschieden, die die Funktionsweise der Kommission nicht wirklich kennen.
Aus der täglichen Praxis weiß ich, dass wir unbedingt einen stimmberechtigten Kommissar pro Mitgliedstaat brauchen! Das ist schon allein deswegen unabdingbar, weil jeder Mitgliedstaat jemanden braucht, der in der jeweiligen Landessprache als sichtbarer Vermittler Europas auftreten kann. Das ist gerade dann umso wichtiger, wenn wir wollen, dass Europa näher zu den Menschen kommt!
Ich sehe auch kein aussichtsloses Unterfangen mit einer Kommission von bis zu 30 Mitgliedern. Sicher gibt es da ein Management-Problem, aber dieses ist durchaus lösbar.
In seiner Gesamtheit ist der Verfassungsentwurf aber jedenfalls ein Riesenschritt nach vorne:
- Schon alleine das Faktum, dass wir überhaupt einen Verfassungsentwurf haben, ist ein Riesenerfolg und weit mehr, als viele noch vor wenigen Monaten zu hoffen gewagt haben!
Aber auch inhaltlich gibt es viele Errungenschaften. Die EU wird effizienter, transparenter und demokratischer.
- Effizient ist etwa, dass an die Stelle der bisherigen 3 EU-Verträge mit über 700 Artikeln ein einziger Text mit knapp über 400 Artikeln tritt.
- Wir bekommen außerdem effizientere Spielregeln, wie eine EU mit 25 und mehr Mitgliedern funktionieren kann. Es wird z.B. mehr Mehrheitsentscheidungen geben als in der Vergangenheit. Das Einstimmigkeitsprinzip wird ja leider häufig als nationales Vetorecht mißbraucht und könnte die Union je größer sie wird mehr und mehr lähmen, oder einen Nährboden für Erpressungen und Kuhhändel abgeben.
Zweitens wird die EU transparenter:
- Die Kompetenzen und die Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten werden klarer geregelt. Gleichzeitig gibt es auch bessere Kontrollmöglichkeiten dafür, ob diese Kompetenzen auch nicht überschritten werden.
- So wird etwa genauer überprüft, ob das Prinzip der Subsidarität auch wirklich eingehalten wird. Was heißt Subsidiarität konkret? Die EU darf nur dort tätig werden, wo sie einen Mehrwert bringt, und wo die Mitgliedstaaten alleine ein Ziel nicht erreichen können.
- Des weiteren werden auch die Verfahren und die Instrumente für die Europäische Gesetzgebung vereinheitlicht. In der Vergangenheit waren im Bereich Außenpolitik und Justiz und Inneres andere Entscheidungsverfahren vorgesehen als bei den übrigen Politikfeldern. Dadurch, dass jetzt die bisherige Säulenstruktur aufgelöst wird, wird auf breiter Basis ein Standardgesetzgebungsverfahren eingeführt.
Und drittens wird die EU demokratischer:
- Schon allein die Art und Weise, wie dieser Verfassungsentwurf zustande gekommen ist, ist ein Novum in der EU. Bisher sind alle EU-Verträge hinter verschlossenen Türen von den Regierungen ausgehandelt worden erinnern Sie sich an Nizza?
Diesmal hat der Konvent nicht nur in aller Öffentlichkeit gearbeitet, sondern er war auch repräsentativ aus Vertretern der nationalen Parlamente, der Regierungen, des Europaparlaments und der Zivilgesellschaft zusammengesetzt. Was allgemein wenig bekannt ist: Auch die neuen Mitgliedstaaten haben bereits am Entwurf vollberechtigt mitgearbeitet. Und auch jeder Bürger hat (zumindest theoretisch) die Möglichkeit gehabt, sich an Diskussionsforen zu beteiligen.
Diese demokratische und offene Methode gibt dem Verfassungsentwurf einen großen demokratischen Legitimationsbonus.
Aber auch inhaltlich gibt es noch mehr Positives:
- Das Europaparlament bekommt mehr Rechte.
- Weiters bekommt die EU eine eigene Rechtspersönlichkeit und kann damit z.B. der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten.
- Außerdem sieht der neue Verfassungsentwurf jetzt vor, dass die Europäische Charta der Grundrechte zum integralen rechtsverbindlichen Bestandteil unserer Verfassung wird.
GRUNDrechte:
Die Charta der Grundrechte, die die EU vor 3 Jahren verabschiedet hat, war bislang nur eine Absichtserklärung. Auch wenn sich erst weisen muß, wie der Europäische Gerichtshof die Charta in konkreten Fragen anwenden wird, so begrüße ich es doch sehr, dass die Fundamente unserer europäischen Wertvorstellungen jetzt Verfassungsrang erhalten. Da finden sich unter anderem:
- das Recht auf Leben,
- die Meinungsfreiheit und die Religionsfreiheit,
- das Verbot von Folter und Todesstrafe,
- das Recht auf Bildung und das Recht zu arbeiten,
- und auch ein Asylrecht gemäß der Genfer Konvention, und den Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung.
- u.s.w.
Im Zusammenhang mit dem Stichwort ,Religionsfreiheit" möchte ich noch ein Thema ansprechen, das in den vergangenen Monaten für einige Diskussionen gesorgt hat: Das ist die Frage, ob ,Gott" nun in unserer neuen europäischen Verfassung stehen soll oder nicht.
Es ist legitim und wichtig, diese Frage nach der ,invocatio dei" zu stellen. Aber da gibt es auch einige Vorfragen: Wenn Gott in die Verfassung kommt, ist dann in Europa implizit der christliche Gott damit gemeint? Oder ist es auch der Gott der Juden, der Muslime? (Immerhin leben heute in der EU geschätzte 14 bis 17 Millionen Muslime.) Oder meinen wir ,Gott" unabhängig von Konfessionen, sozusagen als ,letzte, höchste Instanz"?
Wie hat der Konvent die ,invocatio dei" behandelt?
Der Konventsentwurf verzichtet auf eine explizite Anrufung Gottes. Er verweist nur ganz allgemein auf das religiöse Erbe Europas(1), ohne dass aber dabei die jüdische, christliche oder muslimische Tradition erwähnt wird. Von religiöser Gegenwart ist im übrigen schon gar nicht die Rede.
Unabhängig von konkreten Formulierungen sollten wir aber noch eine ganz andere Frage stellen: Geht es nicht in Wahrheit im Kern darum, ob bzw. dass der Hauptkorpus der Verfassung christliche Werte enthält?
Und das ist zweifellos der Fall. Ich spreche hier nicht nur davon, dass der Status der Kirchen explizit anerkannt wird. Natürlich ist es ein Fortschritt, dass die Kirchen im neuen Verfassungsentwurf in ihrem Eigencharakter anerkannt werden, und endlich nicht mehr unter NGOs, Gewerkschaften, etc. geführt werden.
Aber es geht im Kern um die Werte der christlichen Soziallehre wie Menschenwürde, Subsidiarität oder Solidarität.
Solidarität
An zwei konkreten Beispielen möchte ich zeigen, wie die EU Solidarität in der praktischen Arbeit umsetzt.
Der erste Bereich ist die Kohäsionspolitik der EU. Im Gründungsvertrag der EG wurde gleich zu Beginn festgehalten, dass es die Aufgabe der EG ist, die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern und den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete zu verringern(2).
Um diesem Auftrag nachzukommen, hat die EU eine umfassende Politik entwickelt, durch die Gelder aus den reicheren Mitgliedstaaten in die ärmeren und aus den wohlhabenden Regionen in die strukturschwachen fließen. Mehr als ein Drittel des EU-Budgets oder 213 Mrd. € werden in der laufenden Finanzperiode über 7 Jahre(3) für die Regionalpolitik verwendet.
Die Ergebnisse dieser Politik können sich sehen lassen: So wurde zum Beispiel aus dem armen Irland mittlerweile ein wohlhabendes Land, und auch in den südeuropäischen EU-Ländern hat die Kohäsionspolitik viel zu einem größeren Wohlstand beigetragen.
Nach dem Beitritt werden auch unsere neuen Mitgliedstaaten von der Regionalpolitik profitieren. Damit zum zweiten Beispiel europäischer Solidarität, der Erweiterung.
Alleine für die ersten drei Jahre nach dem Beitritt stellt die EU den neuen Mitgliedstaaten insgesamt 37 Mrd. € zur Verfügung. Solidarität meint im Zusammenhang mit der Erweiterung aber weit mehr als nur finanzielle Solidarität. Sondern Solidarität heißt auch, dass wir unseren Nachbarn eine politische und eine wirtschaftliche Perspektive geben wollen.
Und drittens geht es auch um eine menschliche Solidarität: Solidarität mit unseren Nachbarn, die Demokratie und Menschenrechte über Jahrzehnte hinweg entbehren haben müssen. Dieser Aspekt kommt meiner Meinung nach in der ganzen Osterweiterungsdebatte viel zu kurz.
Hochgehalten haben diese menschliche Solidarität die ganze Zeit hinweg die Kirchen, die sind ihrer Brückenfunktion gerecht geworden. Erinnern Sie sich an die bewegenden Bilder vom Beginn des mitteleuropäischen Katholikentages vor wenigen Monaten!
An dieser Stelle möchte ich Pro Oriente und ganz besonders Kardinal König persönlich für Ihr großes Engagement danken! Sie tragen viel dazu bei, dass das Wirklichkeit wird, was der Papst die ,Europäisierung der EU" durch die Osterweiterung genannt hat.
Meine Damen und Herren,
Die Erweiterung ist ein Paradebeispiel dafür, wie Solidarität zu einer win-win Situation führen kann. Denn letztlich gewinnen alle:
- Die Menschen in den Beitrittsstaaten bekommen eine wirtschaftliche und eine politische Perspektive.
- Alle Bürger Europas profitieren von der kulturellen ,Horizonterweiterung".
- Aber auch unsere Wirtschaft profitiert: Die Wirtschaft in den neuen Mitgliedstaaten profitiert von den Investitionen. So geht z.B. ein Drittel aller österreichischen Direktinvestitionen in die neuen Mitgliedstaaten. Und unsere heimische Wirtschaft bekommt mit der Erweiterung Zugang zum größten Binnenmarkt der Welt mit beinahe einer halben Milliarde Konsumenten. Die österreichischen Exporte nach Mittel- und Osteuropa haben sich seit 1989 mehr als verdreifacht.
Mit der Erweiterung um 10 Staaten im kommenden Mai ist aber das Erweiterungsprojekt noch nicht abgeschlossen: Bulgarien und Rumänien wollen 2007 Mitglieder werden, und auch Kroatien und die Türkei klopfen an die Tür. Es ist aber klar, dass nur Länder der EU beitreten können, die die politischen Beitrittskriterien erfüllen: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte und Schutz der Minderheiten.
Eine Erweiterung, das bedeutet immer auch neue Nachbarn: In 6 Monaten grenzen Rußland, die Ukraine oder Weißrußland direkt an die EU an. Wir müssen daher auch dort mit dem Brückenbau beginnen! Auch die Menschen in Rußland, in der Ukraine brauchen Perspektiven! Damit meine ich ganz und gar nicht, dass alle der EU beitreten sollen. Aber nichts hindert uns daran, mit diesen Ländern eine engere Kooperation zu suchen.
Die Europäische Kommission hat daher vor einigen Monaten eine neue Nachbarschaftsstrategie vorgeschlagen, die eine engere Zusammenarbeit mit unseren neuen Nachbarn in länderspezifischen Aktionsplänen vorsieht. Die Zielländer dieser Nachbarschaftsstrategie sind alle Staaten im Halbkreis von Rußland bis Marokko, mit denen wir eine gemeinsame Grenze schon haben oder haben werden.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß:
Es gibt ihn, den ,europäischen Menschlichkeits-Mehrwert"! Die EU sichert den Frieden, sie garantiert Demokratie und Menschenrechte, und sie ist ein großartiges Solidaritätsprojekt.
Aber Europa muß in die Köpfe und vor allem in die Herzen der Menschen! Nur wenn uns das gelingt, dann können wir auch den Artikel 2 unserer neuen EU-Verfassung mit Leben erfüllen. Er lautet: ,Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte."
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(1),Schöpfend aus den kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas, deren Werte in seinem Erbe weiter lebendig sind_"
(2)Art. 2 EGV und Präambel EGV
(3)2000-2006